Schriftzüge: Prologe

(I-VIII)

I

Einer, der es vorzieht, in der ausgetrockneten Pfütze zu stochern. Die bunten Kiesel und der Silberglanz der noch feuchten Erde interessieren ihn mehr als alle Sonnentage und die lichten Dinge.

Er träumt davon, einer Zeit zu begegnen, die sich in dem Geräusch verbirgt, das vom Rühren seines Holzstocks in der Pfütze entsteht.

Er neigt zur Dunkelheit.

Er atmet auf in der Dämmerung.

Man sieht ihn noch spät im Garten gehen.

Er trägt eine Art Mantel oder Umhang -

 

II

Einer, der es sich in den Kopf gesetzt hat, von dem einen Vogel an dem einen Tag in dem Kirschbaum zu reden, zu genau dieser Zeit, als er ihn hört - oder dass er ihn nicht hört, er spürt nur seine Anwesenheit: seine Anwesenheit in dem Blätterrauschen, dem Wind, dem Sonnenlicht zu genau dieser Stunde.

Daraus soll seine Geschichte sein - wenn ich richtig höre.

Frühling, die ewige Gegenwart der Dinge! Die Luft ist ganz offen. Über den Teich geht ein leichter Regen. Kaum Gestalten, aber schon am frühen Abend die vielen Sterne.

Jetzt und Jetzt und Dies und Das, geht seine Rede. Will ich sie aber wiederholen, heißt es: „Nein! Nein, dieses! Nein, das!“

Es fällt mir oft schwer, zu erkennen, was er denn eigentlich meint, und je mehr ich mich auf sein Meinen oder Deuten einlasse, desto verschwommener wird mir alles.

Gestern zum Beispiel an dem Igel, der um die Gartenstühle strich. War der Igel gemeint? Ich war erschrocken, aber dann auch erschrocken vor dem Wort: „Jetzt!“ rief es in mir. Es wollte mich schwindeln, was war dies nun?

Plötzlich dieser Strahlkranz, dieses unermessliche Strahlen. Die Mondsichel! Die dunklen, rauschenden Zweige! Das Rasenstück, das glänzte (von woher?) Die Lichtfächer hinter den Häusern. Die Regung des Teichs, das Flüstern der Zweige, Verweis auf Verweise -

 

III

Einer, im Einschlafen, der rund und rund im Kreise geht. Er spricht keine Worte mehr, oder dass er sich sonst durch eine Geste oder ein Aufsehen verbindlich zeigte.

Er summt zumeist ein Kinderlied. Aber mir will der Titel nicht mehr einfallen und auch an den Liedtext erinnere ich mich nicht mehr. Im Einschlafen scheint mir, dass ich auf seine Schulter sinke. Ich schaukle zu ihr hinab wie eine Feder, und komme zu ihm wie durch Winde in eine windstille Gegend.

Alles wird sehr still.

Vielleicht hört man eine tickende Uhr oder dass ein Tropfen in ein (kaltes) Wasser fällt.

Ich weiß (woher?), dass ich seine Schulter oft Hügel nannte: Hügel der eigentlichen, Hügel der wahren Zeit.

Sein Alter würde ich auf sieben Jahre schätzen (fällt mir ein). Wobei es sein Geheimnis ist, dass er schon tausend Jahre alt war, aber sich plötzlich umkehrte und verjüngte.

Sein Lied ist so wundersam ...

Im Lauschen wird es zu einer Leinwand, worauf sich, in merkwürdiger Malerei, die nur aus ungebrochenen Linien zu bestehen scheint, seltsame Szenen zeigen. Oftmals sind es Zimmer, in denen ich wohnte oder dass ich wieder aus einem Fenster sehe, aus dem ich einmal sah oder nur einen Gegenstand betrachte, den ich einmal besaß.

Aber so still ich daran werde, so verzweifelt? geh ich davon fort. Denn kaum, dass ich aufwache, gerate ich in einen solchen Sturz, als entzöge sich mir alle Welt.

Deshalb fürchte ich jenen, der im Kreise geht. Er wirft mich in die größte Unruhe -

 

IV

Einer, den ich als Schatten sehe - ich habe ihn nie anders vernommen. Wahrscheinlich darf man ihn einen Mörder nennen oder Verbrecher, aber dass er ohne Schuld ist, da Mord oder Verbrechen seine  Z e i t  ist.

Sein Auftritt ist ungeheuer mächtig.

Andrerseits beherrscht er keinen wesentlichen Raum.

Ich glaube, dass er einmal versucht hat, diese Existenz, oder nennen wir sie das „Dasein der Ideen“, ganz allein für sich zu beanspruchen. Er wollte, sagen wir, an die Stelle der Sonne treten; andrerseits wiederum nicht, weil er dies wollte, sondern weil es eben seine Zeit ist, anderes zu verdrängen oder gar zu vernichten.

Er ist am wenigsten derjenige, der die Dinge schafft. Von sich selbst würde er wahrscheinlich behaupten, dass er derjenige sei, der die Dinge erhält. Und tatsächlich erhält er sie, nur auf die furchtbarste Weise, indem er sie nämlich umgrenzt und sie dadurch abhält, in ihren Zusammenhang zu kommen, der ihr eigentliches Dasein wäre - ein Dasein, welches jener Schatten niemals begreifen wird, und so er tatsächlich glaubt, er würde die Dinge also bewahren oder erhalten.

An eine Nacht erinnere ich mich, ach, in der viel Ereignis gewesen war: Alle Seiten waren bunt geworden, das Innenlicht stieg hervor, und jede Zeile fand sich getragen von innerem Raum, von wesentlicher Spur. Und dies nach Tagen wie über Waldhänge und steiniges Gebiet hindurch ...

Alles leuchtete!

Ein Tanz war begonnen, dem ähnlich, den ich einmal an einer Fontäne sah: ein Wandel über Kieswege zu rauschenden Bäumen: Hand in Hand, Gestalt an Gestalt, um überzugehn in die glitzernde Luft!

Da war es plötzlich zu Ende. Der Tag endete, der Innen-Tag, die Nacht kam auf.

Da sah ich ihn.

Er nahm das Schauspiel fort; schob sich, wie ein Strand, unter das Wellenspiel, und zeigte nichts als zerbrochne, schwarze Dinge.

Da sah ich ihn -

 

V

Einer, ein Mädchen, das morgens aufsteht, auf und auf.

Sie hat ein Fenster, und in dem Fenster ein helles Kreuz.

Ich weiß, dass sie irgendwo in der Ferne lebt; ich schaue oft nach ihr.

Am Abend bricht sich jenes Fensterkreuz manchmal über meine Wand. Und im Sommer war es, dass sich ein Blühen daran zeigte, weißgraue Blüten in verschwommener Kontur.

Ich glaube an das Mädchen.

Meiner Vorstellung nach hat sie eine Arbeit, und man wäre erstaunt, zu sehen, wie sie das Haus verlässt. Ich vermute, dass sie entweder in einem Bergwerk, oder anders: in einer Kanalisation arbeitet. Zumeist spricht sie nämlich von Strömen, oft von Gestank, dann wieder von schmutzigen Steinen. Manchmal schimpft sie über ein Meer (?)

Ich höre dem zwar zu, und vielleicht, dass ich derselben Meinung bin, aber mich wundert, wie  w e i ß  dieses Mädchen ist. Und indem sie über die Steine schimpft, will ich selbst an eine Musik glauben.

Jedenfalls summt mein Herz ...

Ich kenne das sonst nicht, dass ich an Schimpfwörtern derart aufatmen kann -

 

VI

Einer, sah ich im Traum, dessen Part am Schauspiel es war, sich nach dem Tod zu sehnen.

Ein In-die-Luft-Starren. Eine Luft, in der es nichts gab als den berüchtigten Hauptton, von dem im Traum eine große Rede ging.

Der Hauptton, der keine Nebenwege erlaube. Der Hauptton, der, wo Lebendiges wäre, nur Niemandsländer schaffe.

Dasein, so galt es jenem, war das Ausgesetztsein auf die Hauptstraße einer Zwischenwelt, mit dem fast unendlichen Verkehr der absurden Vehikel, deren Ruhezustand als unbekannt galt oder nicht im Bereich der Zwischenwelt lag.

Eine Zwischenwelt nur aus Bewegung. Verlor ein Vehikel die Bewegung, verlor es zugleich die Zwischenwelt.

In einen Staub sah ich hinein. Er stieg als die eine Wolke von der Hauptstraße auf. Im Gesamten die immerselbe Form, im Einzelnen, wenn auch trübe, doch wechselnde Gesichter.

Dies war nun also sein Part, täglich in die Betrachtung des Haupttones zu geraten und den Staub anzustarren und verloren zu gehen, leer und doch wie erstickt von einem Geräusch aus tausend Dingen. Genannt war das ganze, wenn ich mich erinnere: die „graue Seite“ - wobei sich dies, glaube ich, auf ein Buch bezog ...

Das Geheimnis, in der Zwischenwelt: Alles liege neben sich. Ein Buch, das neben sich lag. Ein graues Papier mit schwarzen Zeilen, aber daneben, so das letzte Bild, lag ein Körper, lag d e r Körper, lag das, was noch nicht begonnen war, lag noch eher eine Stofflichkeit, die noch nicht, nur als Idee, Körper zu nennen war.

Aber dahin seine Sehnsucht, mehr noch: seine Todessucht. Dahin, dort, den Morgen zu erleben jenes Körpers und aufzugehen in Wirklichkeit. (Eine Art Neue Körperlehre kam in den Gerüchten vor.)

 

VII

Einer, „Montag“, nur in der Bewegung bleibt er gesund.

Steht er still, sinkt er von sich fort.

Er (er-)kennt diese Massen nicht mehr: Zeit ist ihm Masse, das Leben Materie.

Er (er-)kennt nur noch den Wind, oder das, was ihn davon abhält, anzukommen.

Er lebt - wie die allgemeine Zeit, die ihm umgibt? - aus einer Kopie.

Stimulation mit all ihren Höllen ist seine Welt.

Übersteigerung verschafft ihm zumindest den Traum, am Leben zu sein oder echte oder wahre Dinge zu erfahren.

Er langweilt sich.

Er ist sich überdrüssig.

Er gerät rasch in Wut.

Schläft er ein, verhält er ein Weinen.

Er ist nicht sonderlich beliebt. Aber das ist nicht, was ihn bekümmert. Ihn bekümmert dieses leere Haus, das auf dem Grund all seiner Träume steht.

Wahrscheinlich hat er alles verloren.

Er sieht Flammen, die ihn verzehren.

In seinem Atem geht eine Flamme, die immer tiefer in ihn dringt und die doch nichts hervorbringt als diese allmächtige Schwärze.

Sein absurdes Spiel: dass er an sich klopft.

Er klopft an sich und versichert sich mit jedem hohlen Laut, dass er nun nichts mehr sei als eine leere Hülle.

Er sehnt sich unendlich nach dem, was er nicht auszusagen weiß.

Seine Sprache gleicht einem rasenden Zug, der sich um eine ferne, nicht zu erreichende Mitte bewegt.

Schließt er die Augen, sieht er dieses Bild: Ein Leuchtturm, der sein Licht in ein Meer wirft. Wellen und Wellen und keine Wendung, dies einzuholen, zu wissen oder zu begreifen.

Leere!

Er liegt in der Nacht und weint. Er weint, und nicht mal dies will im wirklich werden.

Er liegt und weint und sieht sich beim Weinen zu.

 

VIII

Einer, er träumt nun nicht mehr, er setzt sein Gehen fort.

Er gleicht einem Schlafwandler, Wiedergänger.

Er geht und geht, zeitlos, ohne Tage, ohne Nächte, ohne Wandel, ohne Wechsel.

Der, der da wandelt ohne Wandel!

Er hatte ein Ufer, das ihn bestimmte ...

Er muss vor Zeiten dort gelebt haben. (Eine Hütte an einem Flussufer in einem Gebiet, das, obwohl bebaut, sich auf keiner Landkarte findet. Deshalb wahrscheinlich, dass er so verlorenging; wen oder was hätte er fragen sollen, um zurückzukehren?)

Er schreibt, während er geht.

Er hat einen Stock, den er nachzieht, und da bilden sich diese langen, langen Linien.

Erst, wenn ich einschlafe und aus den Linien herausgerate, kann ich ihren „Zug“ erkennen, und dass sie eine Schrift sind, dass sie ein Wort sind, dass sie irgendein verlornes Wort sind.

Einen Grenzgänger könnte man ihn nennen, in dem Sinn, dass er immer auf Grenzen geht.

Er hat unbeschreibliche Dinge gesehen.

Einmal, da ging er, über Wochen, an einem Abgrund entlang. Ein Wehen war in der Linie, das mich anhauchte: Bilder, zum Schlaf, die so entsetzlich waren.

Er war dem Leben begegnet, wo es aufhört.

Natürlich fürchte ich mich vor ihm. Aber wenn sein „Wettern“ vorüber ist, blicke ich ihm nach.

Das, was den Menschen im Tag behält und ihn zuweilen langweilen will, Rahmen und Glas und nur vage Spiegelung und nichts, was aufschauen ließe und nichts, was gefährlich wäre - das, was sich leicht als das träge Gesetz der Tage einstellt, müde, das angeschwemmte Ding am Meeresstrand - kennt jener nicht.

Er weiß nichts von Glas und Rahmen und träger Luft. Für ihn ist alles fern.

Er kennt weder Muster noch Raum. Er begegnet.

Für mich zumindest stellt er Begegnung dar.

Selbst bemerkt er nichts.

Aber wenn ich in seine Linien sinke, ich weiß kaum, wo sie doch so gleichgültig sind, sind sie doch so - vollkommen.

Nicht, wenn ich ihn erlebe, aber wenn ich ihm nachschaue und ihn verliere, sind sie vollkommen.

(Einmal, da ging er „ein Wesen“ ... Näher kann ich es nicht nennen, „ein Wesen“.

Jeder andere hätte sich kaum an die Schwelle dieses Wesens getraut.

Er aber war schon darüber, stolperte, zog den Stock nach, und schrieb mir das ganze am Herz vorüber!

Ich sah mich um, als würde das Haus einstürzen.

Es war das Wesen aller Dinge, und er zog den Stock darüber, als wäre es klein.

Mitten aus der Nacht kam es hervor.

Sein Stock lief darüber hin, oder vielmehr: lief über einen Sand, und der Sand begann zu rieseln, und der Sand war eigentlich ein Meer.

Und da tat sich auf, was das Meer verbarg:

Stein.

Bild.

Oder ein Holz war es?

Ein Falter ...

Und da schloss er sich. Und rings - unter seinen Flügeln war er bunt - begann das Meer zu leuchten.

„Ach!“, hörte ich noch.

Entweder war es von jenem, der da ging, oder dass es aus den Meerwänden kam, ehe sich wieder alles verbarg.

„Ach! ...“)