Schriftzüge: 10. Buch

(11-20)

11

Seltsam, diese wie angeschwollenen Glieder, die Kleidung zu klein, die Stunde zu eckig, Kopf und Stirn eine Last, das Gesicht ein Trug, an dem wir uns verwechseln und an dem uns alle Welt verwechselt. Die Räume ein provisorisches Dasein, an den Rand der Welt gezimmert, mit ziehenden Türen, schiefen Fenstern, und unser großer tragender Schlaf eine Pfütze, in die es tropft aus dem sinnlosen Tag. Die Welt wird ein Ereignis, das uns nie betrifft. Mit zunehmender Wut im Zimmer umhergegangen, Kopf und Denken als eine Ausgeburt wahrgenommen, die unter grauen Wassern an einem Ufer triebe, Holz und Frucht in einem, verwaltet und bewegt von der dumpfen Musik des anderen Mieters, der in die Jahre gekommen nun alle Sonntage das Radio auf voller Lautstärke spielen lässt. Merkwürdig, dass sich alle Sprachphänomene, die uns am einen Tag unterstreichen, sich am anderen Tag zu Krankheiten verändern. Nie anders, als dass das Wort aufgeht und sonnenhafte Volumen schafft und dass in der Folge alle Sonnen entflammen, die leichten, gegenwärtigen Farben übersteigern und in uns selbst nichts als Nacht und Gegenstimmen lassen. Nach den geschriebenen Tagen, auf die Träume folgen, die uns mehr und mehr vereinen, strebe ich derart auseinander, dass mein Geist einem stürzenden Meteor gleicht, der sich über den Weltkreis zerstreut. Ich weiß von den Worten, die ich schrieb, keines zu erkennen; alle Schrift wird ein Feld aus Unkraut und Steinen - was ist es, dass unser Körper derart aus der Bahn bricht, und Geist und Körper sich derart widersprechen, als rängen an der Stelle Elemente, deren Widerspruch nicht schärfer, nicht gegenseitig vernichtender sein könnte. Aus dem Traum erwacht, gleicht der Körper einem Missverständnis aus Materie, das, wo ein Nichts zur Antwort stand, Stoffe bildet, in denen sich zur weiteren Verdichtung nächste Stoffe bilden. Ja, am Morgen ist mir, aus der Linie meiner Haut, die nicht die Linie meiner Haut gewesen war, sondern eher Horizonte, Linien der Sonnen, der Wolken und der Wetter, bildeten sich Körper aus, Nachfahren des Lichts, Söhne und Töchter, ein Anbeginn einer Geschichte, als würde sich mein Körper mit Weltraum umgeben, der in den folgenden Wochen zu einer Erzählung würde, nur, dass sich alles plötzlich verdunkelt, dass mein Körper in den Abgrund stürzt und statt der Formen/Körper/Töchter und Söhne des Lichts Materie zu wirken beginnt, ein mimisches Spiel aus seiner Entstehung zerwürfelt wird und in meiner Haut nur noch Stücke treiben.

 

12

Das Wohnen meiner jungen Kollegin. Wieder über den Gedanken gesprochen, den ich ihr während eines Abendessens vorgehalten hatte und an den sie sich noch erinnerte. Ich hatte sie damals gefragt, ob sie sich von dieser/unserer Gesellschaft als Mensch wahrgenommen fühle. Und so sprachen wir gestern nochmals von diesem Widerspruch, zumindest für mich ist es ein Widerspruch, dass wir zum einen gesellschaftliche Personen sind, zum anderen und viel eigentlicher aber Menschen und dass sich beides kaum vereinen will. Ich schaute in meine Kollegin, als ob ich ein Stück meines Gärtchens anschauen würde, und wenn sich auch der Gedanke gar nicht verändert hatte, weder durch Form noch Blüte, so stand er doch reiner da, als ich ihn ehemals dargestellt hatte. Meine Kollegin reicht kaum an die 18 Jahre und trägt alles viel leichter als ich. Während ich selbst zwischen Mensch und Person viele zu denkende Wege sah, die mir förmlich aufschimmerten unter den Gängen aus Regalen und Akten, an denen wir saßen, war ihr in dem Gedanke kaum Widerspruch, denn als ich nachfragte, sagte sie, Person, das sei doch viel besser, weil Person Charakter habe und auch Wille, während doch Mensch bloß dasjenige sei, was jeder habe. Ich wusste darauf wenig zu antworten und bemerkte wieder, dass mich das Denken eines anderen Menschen so sehr überzeugen kann, dass ich darüber alle Weise meines eigenen Denkens vergesse. Der Punkt, auf den ich hinausgewollt hatte, der sich nämlich während jenes Abendessens ergeben hatte und die eigentliche Ursache meiner Frage gewesen war, ob sich meine Kollegin als Mensch wahrgenommen fühle, hatte sich aufgelöst. Vielmehr begann das Gespräch sich in Allgemeinheiten zu verlieren.

 

13

Drei heiße Tage mit Sahara-Wetter und einem Geist, der in seine eigene Schwärze versinkt. Unterm Kirschbaum über das Wesen von Musik nachgedacht. Nämlich beschäftigt sich der andere Mieter in letzter Zeit mit Videospielen - was ich zumindest vermute. Aus seinen verdunkelten Zimmern steigt eine eintönige Melodie, die als musikalische Kulisse für ein Jump-and-Run-Spiel dienen könnte. Der Mieter wird des Spielens nicht müde und so ist die kurze, sich immer wiederholende Tonfolge über Stunden zu hören. Wenn ich die Augen schließe, befinden sich die Töne nicht nur in meinem Gehör, sondern auch hinter meinen Augen und sind dort das gelbe, blaue, rote Sonnenlicht. Vom Kirschbaum fallen die reifen Kirschen ab und liegen zerstreut auf dem Rasen, was mir beim Betrachten etwas von Sternbildern suggeriert, und ich suche in meiner Benommenheit nach einem Sternbild, das mir bekannt wäre. Mein Körper fühlt sich in der Hitze wie ein Stauwerk an, was mich mit Melodie, Kirschen und der Erinnerung an den gestrigen Besuch eines Spielplatzes, wo es für die Kinder einen Sandkasten gab mit Wasserspielen, an den Gedanken eines Austausches führt, der mir durch meine Lebensweise, einen täglichen Mangel an echtem Gefühl und einem durchdringenden Sehen, mehr und mehr fehle. Meine Furcht wird immer größer, dass ich mich verwechsle, Geistern oder Schatten unterliege, die mich mehr und mehr zu prägen beginnen. Schaue ich in den Spiegel der Sprache, sehe ich Geister vorübergehen, deren Anliegen mich wenig betrifft, und mich selbst als den Verlauf einer Stimme, die nicht zu Wort kommt. Am Abend befallen mich die Laster. Ich bilde Bögen aus mir, deren Werk man ebenso über Massenmördern sehen würde: Werke aus Bögen, die nach Weltraum trachten, aber vielleicht wahrer nur die Fäden sind von uns quälenden Dämonen. Nur in den Tiefen des Schlafs bin ich rein und kann mich anhand meiner selbst denken.

 

14

Der einzige Gedanke ist der Gedanke, der sich selber sucht. Ich weiß oft nichts zu denken, nachzuvollziehen oder mich für etwas zu interessieren, weil ich den Gedanke verfolge, der sich selber sucht. Aus dem Lauf seiner selbst tauchen Stücke, Gesichter, Personen, zuweilen Handlungen, Ortschaften, Hinterhöfe auf, aber all dies bleibt Fragment, und die hohe Form des ganzen, denn das ganze hat eine hohe Form, bleibt verborgen. Wenn ich so denke, frage ich mich, warum ich mich an den Amtsleiter erinnere. Ich folge der Erinnerung nach, bis ich sie für eine Täuschung halte. Später nur wieder die Müdigkeit der eigenen Stirn, und, ja, Lust, mich fortzuwerfen. Laster sind einfacher als der Gedanke, der sich selber sucht, und Gespräche und Menschen und Worte. Die Tage sind voller Treppen, Stufen, überall sind Ansätze. Im Gedanken, der sich selber sucht, treiben nur Hauchfragmente. Gesichter sind erstaunlich fassbar, ihre Mechanik kann uns wundern, formt sie doch die Worte ohne Unterlass. Der Gedanke, der sich selber sucht, fällt durch die Gesichter hindurch, auch Kunstwerke oder Kathedralen können ihn nicht halten. Ich eile manchmal durch die Tage und trüge aus den Tagen Erinnerung nach, eilte ich nicht dem Gedanken nach, der sich selber sucht. Ich sehne mich nach dem Unwetter, das sich gestern entlang der Grenze vollzog und von dem einzelne Wetterwolken über den Garten zogen: Ausläufer eines Wirbels, der in seiner Ferne mehr Gegenwart besaß als ich selbst.

 

15

Während der Stadtführung die Arme meiner Chefin betrachtet, an denen der Zahn der Zeit in kleinen Narben nagt. Wir gingen von Station zu Station zu den Kirchen der Stadt bei windigem, wieder etwas kühlerem Wetter. An der Statue, die den Johannes darstellt, gedacht, stiege dieselbe herab, wäre sie bloß ein Penner. In der rechten Hand hält sie die Schale, mit der der Johannes, so unsre Gästeführerin, Wasser aus dem Jordan schöpfte. Das ganze nicht richtig verstanden, weil die Statue an einer stark befahrenen Straße steht und auch viele Schulkinder unterwegs waren. Selten eine solche Rührung erfahren aus einer Figur, mir war, es ginge ein Laut oder Ton von ihr aus, der einen eigenen Raum schüfe. Von den mehreren Stein- und Bronzefiguren, die es in der Stadt gibt, von den gräflichen, historischen und religiösen, war sie die einzige, an der ich etwas empfand. Es war die Schale, diese wundersame Handschale, leicht geneigt, sodass der, der sich ihr nähert und der sich zu ihr streckt, in sie hineinsehen kann. Anlass der Führung war es, unsre Gästeführerin zu bewerten, Noten zu verteilen für Auftritt, Fachkenntnis, Rhetorik, eines, ich weiß kaum, dieser absurden Dinge, aus denen inzwischen alle meine Tage bestehen, dazustehen an einem Montagmorgen und Noten zu verteilen auf offener Straße. Manchmal, dass ich mir als eine Bastelei vorkomme um einen etwas klebrigen Stab angewehter Dinge, Federn, leichter Mülltüten, Staub und Straßenlärm, ebenso eine Figur, nur nicht aus Stein und Bronze, die in Absicht oder Handlung unerkenntlich wäre, selbst, dass sie einen Menschen darstellt, wäre kaum zu verstehen. Lege ich diesen Stab oder Stock am Abend in den Schlaf, bildet er zu allen Seiten Höllenbilder aus. Gestern zur Nacht mich wahrgenommen als in einem See treibend, unter mir lauter Gebirge der Hölle - was sich sicher auch daraus ergab, dass ich mir, bereits zur Gewohnheit geworden, nun immer eine Lesung anhöre von Dantes „Göttlicher Komödie“, nach der ich so viel Bedürfnis habe, wie ich mir kaum erklären kann. Allein aus diesen Qualen, die sich im Lauf der Dichtung läutern, erfahre ich Wirklichkeit, und entdecke mich dabei, wie ich an der konkreten Schilderung der Strafen eines jeweiligen Höllenkreises aufatme. Die Lesung geht über zwölf Stunden, weshalb ich vieles verpasse, dazwischen einschlafe, aber manchmal Stimme und Bilder mit in den Traum nehme, wo ihre Gewalt noch zunimmt. Insbesondere ist es oftmals jenes Tor, das zu Beginn der Erzählung steht, wo sich die Ewigkeit umkehrt zur ewigen Dauer, was als das alles umfassende Rätsel durch meine Träume schwebt.

 

16

Wir Menschen besitzen nur selten die Eigenschaft, uns am eigenen Schopf aus den Fluten zu ziehen und für die absurde Stunde zu betrachten, wie das Leben um uns geschieht. Ich erwache selten, und bin ich wach, scheinen an der Wachheit noch viele Stufen, die uns höher führen würden, ein gewundenes Werk aus Treppen, das nur für unsre Sinne zu schwer und für unsren Mut zu gewagt erscheint. Ich lausche manchmal in diesen höheren Raum; gestehe aber, dass ich bereits die Stunde später wieder in alle Tiefen tauche, ja, den Schlamm meiner selbst bereitwillig empfange, um freudig unterzugehen in meiner eigenen Dunkelheit. Ich zweifle an mir, warum ich dieses Bewusstsein, das mir durch Selbsterhalt und Disziplin möglich wäre, so wenig achte. Ich könnte, vielleicht, leichthin Figur und Gestalt meines inneren Denkens sein und von den Tagen frei auf einer höheren Bühne leben, wo sich das Spiel ereignet meines träumenden Bewusstseins. Stattdessen hege ich die Verzerrungen und Zerwürfnisse meiner selbst. Ich steige in die Abende hinab wie einer, dem Kälte und Schmutz nicht genügen und der die Welt, indem er sie bis zum Rand geht, umkippen will. Ich weiß nicht, ob dieses Gehen aus der Einsicht rührt, dass wir uns nur befreien, wenn wir die Anfänge jener Dinglichkeit in uns, die uns von den Tagen verbleibt, verwirklichen, oder ob sie daher rührt, dass wir nur selten fähig sind, an uns/ aus uns selbst Zügel zu finden. Das eine wäre ein Sehnen nach bewusster Gestaltung, das andere ein bloßes Treiben.

 

17

Meine Zeilen so vernachlässigt wie das Gärtchen, wo zwischen Welkheit und Wuchern weiße Blüten von Unkraut stehen. Nichts zerfällt mir mehr als die Sprache und kehrt doch zugleich durch die verlorne Wörtlichkeit in eine Art Zuhause zurück: ja, als triebe ein düsterer Fluss, vor dem es den Betrachter schaudert, um eine reine, beinah bunte Insel, wo ein beinah etwas zu fiktives Anwesen steht. Ähnlich heute an meiner Kollegin gedacht, deren blaue Augen mir auffielen. Ihr Gesicht hat ansonsten etwas Wüstes, nicht Unschönes, nur Gezeichnetes, so die Augen etwas schief sind, die Falten sich wie gläsern abzeichnen und die Sommersprossen durchs Antlitz springen. Sie hat immer Sorge, ein dunkler Quell, und trotzdem Freude, was, denke ich, daran liegt, dass sie die beneidenswerte Eigenschaft besitzt, sich zwar zu sorgen, aber die Sorge nicht fassen zu können. Sie ist immer ruhelos, aber deshalb auch gerettet, sie kommt in diesen Welten, von denen sie spricht, niemals an. Ich genieße den Aufenthalt bei ihr durch dieses Provisorium, das der Gemachtheit meiner selbst widerspricht, als spürte ich, wo ansonsten festes Mauerwerk wäre, wieder Zeltwände hervor. Im Grunde könnten wir ganz woanders sein - eine Eigenschaft, die ich an meiner Kollegin bewundere, so sehr ich ihr in die scheinbare Bestimmtheit folge. Heute das Gefühl, ich könnte mit ihr tanzen, von der Stelle weg. Zur Nacht tauche ich, vor allem durch die Müdigkeit, immer mehr in Dantes „Göttliche Komödie“. Ich hätte viel Bedürfnis, darüber zu sprechen, über die Formen und Unformen, die sich in meinem Geist abzeichnen; ich liebe diese Dichtung immer mehr, sie ist mir zum Anker geworden, den ich auswerfe in das Treiben des Schlafs, an dem sich, wenn auch gering, die Wellen meines eigenen Bewusstseins bilden. Gestern vor einem großen Baum aufgewacht, der sich aus den Zwischenräumen des Erzählens ergab: Ein Baum mit reinem Wurzelwerk, dem das düster entspringende Geäst beinah furchtbar widersprach. Lauter Menschen sah ich darin; oder in einer anderen Nacht waren es unzählige Bücher, in die sich die Dichtung auflöste, und ich verbrachte einen langen Traum damit, den zu finden, der auch nur eines dieser unzähligen Bücher lesen könnte. Wer war Dante? Was ist dieses Buch? Ich bin mir nicht sicher, auf welcher Ebene ich das Buch wahrnehme, oder vielmehr, welche Wirklichkeit es ist, die sich durch das Buch hindurchsetzt.

 

18

 Merkwürdig, dieses Verbot, dass darin liegt, das Wort zu öffnen. Wir sollen im Grunde nicht sagend sein, das Wort unter den Wellen verschlossen halten. Mein Körper oben lässt nach, habe ich an einem freien Sonntag das Wort berührt. Mir ist dann, in den Montag und Dienstag zöge eine Schneise, die mir das Gehen schwer macht, den Rücken belastet und die einfachen Dinge, die ich abzuhandeln habe, mit Schatten durchsetzt. Oft, als hätte ich die Augen geöffnet in schmutzigem Wasser und trüge Rötungen und Fehlfarben nach. Andrerseits verliert sich ohne dieses Öffnen immer mehr ein Bewusstsein meiner selbst und die Tage geraten zur Bühne. Ich bereue es an den Tagen, gesagt zu haben, aber besitze ansonsten keinen Grund, mich auf mich selbst zu beziehen. Das Wort hätte immer vorbereitet zu sein. Wir hätten uns zuerst ins Reine zu leben; aber ohne das begonnene Wort kann es keine Reinheit geben. Mich wundern diese Luftvolumen, die entstehen, wenn ich das Wochenende spazierend verbrachte. Die Glieder sind von Waldluft durchdrungen. Meine Stirn wird zu einer Aussicht, die ich mir auf einem Hügel gewann, zu wankenden Kiefern und roten Hausdächern. Als Reinheit wäre dies aber erst zu bezeichnen, wenn daraufhin das Wort begänne und den wahren Austausch führte der Gedanken. Ich spüre in solchem Luftvolumen die Anwesenheit des Wortes, aber selbst dann scheint das Verbot zu herrschen, und will ich sagen, gleicht der geläuterte Körper, der sich viel weniger aufgehalten findet, doch ungelenken Gliedern, die sich nur ungefähr um das Wort bewegen. Überhaupt scheint mir, dass ich durch mein Gespür für das Wort immer ungeschickter werde, den Satzstrukturen immer weniger vertraue und selten das Gefühl bekomme, Sprache wäre überhaupt durch Sprache zu vermitteln. Eher würde Sprache aus Gesten und Handlungen, so gestern, als ich einer lieben und mehrfachen Einladung zu einem Besuch nicht Folge leistete, dem ganzen etwas kurz widersprach, aber plötzlich Gestalt, Fluss und Wirken hatte. Jede Figur fand sich aufgehoben und war wie bewettert. Mein kurzes Nein und Beharren glich den kommenden Regenwolken, aber der spätere Regen war so heimlich, klopfte so vertraut ans Dachfenster.

 

19

Viele Mädchen im Traum. Mein Geist, der seinen Wahnsinn austrägt über jungen Mädchenkörpern. Sie selbst nicht weniger verheert als ich; seltsame Spiegelungen an ihren Körpern von mir eigenen Wunden, von mir eigenen Gesten. Sehnsucht, irgendwie aufzusteigen, als hätten wir versucht, einen Turm zu bilden. Babelsche Turmgebilde aus Körpern in alltäglicher Zeit. Am Wochenende wohl insgesamt 26 Stunden geschlafen, den Besuch im Haus gemieden, Schichten ausgetragen - wie es mir immer mehr scheint - dass sich mein Körper schält, taube harte Schichten verliert und tatsächlich an einem Abend für eine Stunde Atmen, ganzer Körper wird. In der uns eigenen Körperlichkeit steckt das große Erlebnis direkter Erfahrung; wir sind von der Welt nicht getrennt und ebenso wenig vom Traum; wir selbst stellen die Schwelle dar, wir allein sind der Übergang.

 

20

An Himbeerpfaden entlang, die beherrscht sind von lauter Insekt. Der Wald irgendwie dunkel, leichter Regen, von dem man nicht weiß, ob er jetzt oder nachgeschieht, von den Baumkronen fällt oder den Wolken. Eine jede Himbeere hat ihren eigenen Geschmack. Die älteren gleichen staubigen, längst abgelegten Dingen, die jüngeren bitter-süßen Konzerten, als besäße jeder „Knopf“ des Fruchtmantels seinen eigenen Ton, wodurch sich der Mund als ein etwas zu grobes Werkzeug darstellt, nicht geeignet, diese feinen, musikalischen Strukturen zu erkennen. Auf den Blättern und den Beeren sitzen Blattwanzen, Schnaken, Käfer; in der Luft schwirren Bremsen, die sich flach ans T-Shirt setzen und nach der Haut suchen. Ich komme mir bald selbst unter den hohen Sträuchern als eine Frucht vor, hervorgetrieben aus etwas, das meinem Schatten gleicht, der sich in den sonnigen Abständen auf die Waldwege wirft. Auf dem „Glashütterweg“, der sich so nennt, überquert ein Reh den Pfad, zwei Kitze folgen ihm nach. Sie entdecken mich nicht, weil ich unter den bewegten Schatten der Bäume stehe.