Schriftzüge: 1. Buch

(20-29)

20

Das gute Essen, der gesunde Schlaf, darin der beste Körper: die starke Lunge, die gebräunte Haut; täglich Sonne auf der Stirn und weite Landschaft vor dem Rad - merkwürdig, wo ich mich doch so vergaß, war ich mir doch bewusster, als ich es hier bin, wo ich immer an mich denken muss. Im Tun geht Seltsames vor. Zum Beispiel, während des Ausflugs: Jemand stand an einer Wassermühle, und er drehte, aus welchem Grund auch immer, an einer Kurbel, sodass es schien, er drehte das Rad. Und in dem Rad drehte sich noch ein Rad, und dieses Rad war der Tag: schillernd, tropfend, wie das dichteste Gespräch. In den Dingen geht Seltsames vor, wenn wir sie schweigen oder, was dasselbe scheint: wenn wir sie tun. Sie finden sich viel näher zueinander. Ich weiß das kaum, weil ich die Dinge zumeist nur denke. Ich lebe von Zerstreuung zu Zerstreuung - weiß ich um ihre Schwere (oder fürchte ich sie sogar?) Denn nicht nur licht war jenes Mühlrad, sondern es warf, bei der niedrig stehenden Sonne, einen breiten Schatten an das Haus, als wollte es dieses vollends niederdrücken, das auch wirklich bereits eingesunken stand. Wie leicht die Tage! Wie schwer die Nächte! Dabei waren es gar nicht die Nächte selbst, die ich viel zu müde durchschlief. Es waren die Nächte des Tages, oder anders: die Nächte des Körpers. Was für Dunkles mich zuzeiten beschlich, und schien sich immer mehr zu steigern, Welle um Welle höher gegen mich, benehmender. Als zöge mich etwas, war es oft; als beschatte mich etwas, und ich käme nie mehr von diesem Schatten los, in dem alles so still oder eher: konzentriert erschien. Als träfe dich aus dem Taghellen ein dunkler Blick und entwürfe einen Bann um dich, der dich immer mehr umkreist, bis du nicht mehr anders kannst, als ihm zu folgen. Einmal, als ich die Augen schloss, war da ein Gebirge, grau und groß; als hätte sich mein Atem, war es, vor mir hergeschoben und sich vor mir, ohne mein Bemerken, aufgefaltet zu diesem drohlichen Symbol - denn das war es: Symbol oder verstorbene Metapher, Weisung, Bild, aber abgewiesen, an Zusammenhang verloren; wie in Nebel Bilder, Gesichter, aber einem Nebel von so drängender Kraft: nicht mehr seiend und doch wirkend, und weil nicht mehr seiend, umso mehr wirkend, umso unheimlicher, umso gewaltiger. Und dieses Gebirge ging an gegen meinen Körper oder gegen jenen Körper, der in meinem Körper geworden war; ging gegen ihn an, jede Stunde, jede Minute in Wellen mehr und mehr. Eine Verdrängung, die, schien es, zurück wollte, und erst, seitdem ich wieder hier bin, lässt das Drängen nach; als ich schrieb gestern, einmal wieder schrieb; als ich las gestern, einmal wieder las, ließ das Drängen nach ... Lichtung ...

 

21

Wie schwer es mir an den Worten fällt, die sich so einzeln, wie Fliegen, verhalten, sie in ein Maß zu bringen. Dabei fällt mir auf, wie ich sonst mit ihnen verfuhr: dass es immer Wendung war und Antwort aus Landschaft, was die Sätze schuf. Heute begegnet demselben eine Straße, und ein unendlicher Verkehr zieht an den Worten auf: Gefährte, wenn ich die Augen schließe, Vehikel und Fuhrwerke, als jagten am Fenster tausend Schatten vorüber. Alles scheint Hebung, die aber gefesselt bleibt, an innerem Bezug verlor, so sie lauter Blech ist und hohle Form. Dinge, Gesichter - immer diese Sehnsucht, loszukommen, vermengt mit einem großen Ekel vor aller Erscheinung gegenwärtiger Zeit.

 

22

In diesen Stillen, wie rund um ein Gefäß, das irden ist, scheint doch jedes Wort von einer Absurdität geprägt, als käme noch zur späten Stunde ein Tänzer ins Zimmer, und dem nicht genug, stolpert er, und von seinem Kopf wirft sich einen Federnpracht, die gläsern auf dem Boden zerschellt. - Wie dumm? Wie absurd? Wie magisch? (fällt mir ein) dieses Wesen des Sagens ist; nie zu Haus; hat keine Wohnung, bricht immer herein; zu früh, zu spät; hat Dinge, die keine sind und  doch vor Ausdruck strahlen. Ist sein Tanz, ist da nichts wunderbarer, und dass er kam und stolperte, ist bald vergessen - er war immer da. Ist sein Tanz, wird alles hoch; der trübe Mund, so eingestaubt, hat plötzlich Getränk: Ein helles Getränk fließt in seine Stille und schwemmt alle Tage fort; und als könnte ich Tausendes sagen, ist mir oft, und wäre schon bald zu Haus, hätte schon Wohnung in der nächsten Minute. Wer ist dieser Tänzer? Warum kommt das, was uns betont und dem wir angehören, immer so schief in den Raum und erscheint uns doch plötzlich so gereimt? Schiefe ist das Erste, irgendein absonderlicher Wind, der von den Dingen anders weiß und die Dinge anders trägt. „Zeit“, wird sein Ausruf, „ist nicht gerade! Zeit ist nicht anders! Zeit ist das Deine, dein immerfort Geschenk!“ Da stecken so viele Dinge in der Zeit. Aber erst, wenn der Wind kommt, kann ich sie erfahren. Es sind so übergroße Dinge, die rühren und zugleich entsetzen, die schaffen und zugleich vernichten, die wach rufen und zugleich unendlich weich sind und zu Schlaf verlocken. Bei den Stillen, den Gefäßen, den Stunden habe ich nur wenig Ahnung. Ich verbringe die Stunden, als wären sie nutzlos. Mein Leben geht mich nicht mehr an als das Leben der Nachbarn. Manchmal scheinen Türen, die sich öffnen. Aber es ist nichts dahinter. Manchmal Fenster - wer weiß, was sie zeigen. Einmal eine Gasse, man könnte hineingehen - aber wozu? Der Zusammenhang aller Dinge hat in der Zeit, die von den Gefäßen ausgeht, keine Bedeutung. Erst wenn der Tänzer kommt und die Gefäße zerbrechen, stellt sich Bedeutung her. Der Blick schlägt sich auf ins zitternd Innere, und innen das Gegenlicht, auch ein Auge, das dich erblickt. Da war sie: Idee, Gegenwart; leben, durch alles hindurch; Jetzt, Wirbel, Zwischenraum, da und dort und alles beieinander: anwesender gegenwärtiger Tag, der sich selbst bewies in lebendiger Luft.

 

23

Gestern Nacht an einem Ufer, von dem ich hinübersah, und drüben stand jemand, aber ich konnte nicht ausmachen, wer es war. Die Gestalt hatte einen Ausdruck, den ich schon während des Traums zu beschreiben versuchte, aber nicht fassen konnte. Im Grunde war der Ausdruck der, dass dort jemand stand, der noch nie in seinem Leben etwas gesagt hatte. Das Besondere war, dass ich dies zum ersten Mal begriff. Ich konnte erkennen, dass er noch nie etwas gesagt hatte, und als ich dies begriff, ging er fort. In Kafkas Tagebüchern, fällt mir ein, gibt es eine Stelle, wo neben Kafkas Bett eine Gestalt sitzt und schweigt. Sie trägt, wenn ich mich erinnere, einen schweren Mantel. Man hört sie nicht atmen, man hört nur ihr Schweigen. Dagegen träumte ich selbst, oder hatte ich einmal dieses Bild zum Schlaf: dass ein großer Blumenstrauß auf meinem Schreibtisch stand, und ein Tag ging daran zu Ende. Das war das Verwunderliche, dass noch immer Tag war, der, obwohl längst schon Nacht, erst allmählich zu Ende ging. Ach, diese Sicherheit zum Schlaf: Ja, gewesen! Ja, das Licht! - Dieses Nicht-mehr, ich weiß kaum, Zum-Atmen-Finden? Dieses: Alle-Dinge-verwandelt-in-ein-Nichts. Dieses: Die-Nacht-steht-am-Fenster, wie wirft das allseits seinen Schrecken aus. Du holst diesen sich werfenden Schrecken, der immer selbständiger Füße bekommt und Zeit, kaum noch ein. Wie auch, da er ganz in einer Wahrheit verläuft; in einer Wahrheit, die dich verpflichtet, ob du nun willst oder nicht. Etwas masert, mustert, bildet sich hervor. Mir ist doch, ich würde aus zwei Teilen bestehen, und weil ich den Austausch nicht schaffe, der im Grunde wenig wäre: ein Pendel, das wieder kreiste; eine Lichtspiegelung aus bewegtem Wasser; in aller Einfachheit die Sonne am Himmel, reißt mich dieses Leichte nieder, dringt als Gewicht aus den Dingen hervor, und da scheint es: dieses Gewicht ist mein Herz. Was sich da zweigt, was die Wände masert/mustert, die Nacht mit Schrecken durchsetzt, ist mein Herz.

 

24

Dieses Jetzt-sein-Müssen einer bestimmten Dinglichkeit der Luft, so drückend; weil du nicht zu antworten weißt. Du malst, aber es ist nicht das Jetzt. Du lehnst dich zurück, aber es wird nicht das Jetzt. Du sprichst zu jemandem - so wäre das Jetzt, und du siehst es in den Worten, aber es kommt nicht hervor. Als hätte der Schlaf dir etwas auf- oder eingefaltet; der schlafende Tag dir etwas an die Türschwelle gelegt; oder vom Himmel hätte sich eine Wolke gesenkt, und da hängt sie in den Zweigen des Kirschbaums und müsste eine Musik sein des Blühens - etwas, das den größten Schritt verlangt, und du müsstest nur hin atmen und er ginge schon auf, ginge über diese Dächer, die du siehst, hinauf und würde zum Tag - wenn du nur, ja, wenn du nur atmen könntest; du kannst es nicht. Dieses Im-Wege-Stehen, von Menschen, von Tönen, vom Tageslicht, von einem Gespinst; oder dir selbst, oder als läge dein Schatten auf dir und er müsste doch neben dir liegen. Was ist das nur?

 

25

(...) Gestern hatte ich übrigens ein sehr merkwürdiges Erlebnis, wenn ich noch erzählen darf. Es war, dass ich schlief und noch an deine und auch meine Traurigkeit dachte, aber ganz unbewusst, als blickte man ohne Aufregung eine Tapete an und vertiefte sich ganz in ihre Muster: in die Muster der Traurigkeit, ganz allgemein, wie sie eben durch die Zeiten ziehen. Und da war, ich weiß nicht genau, ich sag mal: eine Hand; und diese Hand begann an dieser Traurigkeit etwas zu verändern - auf entsetzliche Weise eigentlich, oder es hätte entsetzend sein können, da aber alles sein Recht besaß, sein Gesetz, hatte ich keine Furcht. Da sah ich erst dich, du warst Gegenstände, furchtbare Gegenstände: ein merkwürdiger Kessel, Rohre, Verlängerungen, Dinge, ich konnte nicht alle unterscheiden; und die Hand nahm sie fort, sie drang in sie hinein, hob sie weg, machte sie anders, machte sie sauber, durchdrang sie weiter, und am Ende machte sie ein Licht aus ihnen, ein wie sirrendes Licht, das sich frei im Raum bewegte, wie ein Lachen war es, ein ganz unbestimmtes, so freies Lachen ... Da freute ich mich sehr für dich. Dann kam ich an die Reihe. Mir waren Schlaufen um den Hals gelegt, bestimmt Hundert an der Zahl, und von einer Kurbel dem Gesicht gegenüber festgezurrt. Da drückte die Hand ganz sacht meinen Kopf nieder, und ich verstand, dass man sich zu neigen hat, zu ver-neigen, und wie heilsam das Verneigen ist, da gingen alle Schlaufen von meinem Hals ab, und ich hatte endlich wieder das Gefühl, meinen Kopf frei bewegen zu können, nach allen Seiten. Das fiel mir vorhin wieder ein, als du schriebst, dass es dir aus unbekannten Gründen heute besser geht, heller - Rätselhaft, oder?

 

26

Goldsteine - ein Schachbrett? Ich selbst, oder eine Bewegung, umging sie. Die Goldsteine waren nicht zu verrücken - aber darum ging es nicht. Eine Hunger spielte eine Rolle ... Merkwürdig war die Gestalt der Steine: verbogen, zerdellt, wie aus großem Gebrauch, und doch so rein, so unangetastet; Naturformen. Auch merkwürdig der Eindruck: dieses schimmernde Gelb unter diesen grauen, bläulichen Schleiern; erotisch. Wie müde es oft macht, solche Bilder weiterzutragen, obwohl sie im Schlaf so vieles Reines an sich haben. Im Tag sind sie absurde Gefährte, was ich einsah, wird ein Pedal, das ich trete; was ich wusste, eine trübe Scheibe. Und es fehlen nicht die, die sich lächerlich machen, dass also bald eine Bühne ist und der Ruf nicht fehlt: Wie kurios! Überhaupt findet das Reine keinen Ort. Im Einschlafen kann oft ein fernes Geräusch, zum Beispiel das gestern in der Nachtstille auf der Landstraße entlang fahrende Auto, so viel Farbe oder Empfindung entwerfen, es erinnert auf so besondere Weise, sodass, um das Geräusch und durch das Geräusch hindurch, eine unermessliche Weite entsteht, die alles verzaubert, von der Weiche des Bettes bis zum Ticken der Uhr, was aber - nur um den einen Zentimeter verschoben, der anscheinend alle Welt rettet, wie er ebenso alle Welt vernichtet - bloß wieder nichts ist; aufgewacht, oder mich nur geregt, war der Ausdruck oder Ort des Reinen schon wieder vergessen. Nirgends die Fortführung, und obwohl ich ja, ich weiß nicht, etwas „Gutes“ daraus ziehe, zumindest diesen letzten, wenn auch so abstrakten Begriff, in der Art: Haus gefühlt zu haben; Wohnung geatmet; Dinge, die gehören; Dinge, die leben; wirft es mich doch so nieder, wie wohnungslos die Gegenwart ist, wie leer das Eigene, das nur lose in sich selbst hallt. Und dass ich darin nicht denken kann! Dass ich mich mit Schatten beschäftige! Dass an meinem Tun nur Auflösung ist! Dass der Raum schwindet! Dass ich von mir wegstrebe in jedem Augenblick! Letztens rief ich zum Schlaf (wie ich ja inzwischen alles nur noch rufe) unter Fernen: Sehen ist es! Sehen allein! Alles andere sei wertlos und toter Stein. Nur Sehen ist es! Auf Sehen beruht das Leben, und will das Leben hinaus! Sieh es! Durchdring es! Sieh es an! Denn da waren einmal die Gründe gefühlt; sie trieben wie Schlüssel unter dem Denken; ein Gewässer nur aus Schlüsselbewegung; und kommt das Denken hin, sieht es sich sofort gefunden; und es will nichts anderes, als gefunden sein; und aufgeschlossen, und also erweitert und also einsichtig.

 

27

Die höchste Idee aller Dinge scheint der Körper. Und ist denn dieser Körper ein Buch? Mir war heut so, weil sich im selben, wie sich das Buch zeigte, auch Körper zeigte; eines am anderen, in Übergang und Gleichgewicht. Der Körper, der atmet, schafft das Buch; das Buch, das an Bild gewinnt, schafft den Körper - und da: flügelleichter Gedanke: Schwalbe, Zeile, im Sonnenlicht blinzendes Augenlid. Nur, bemerkte ich, nicht die vordergründigen Wege führen dorthin, sondern nur die unbetretenen, wie vorsätzlich verschwiegenen Wege. Kein Schild in der Nähe, nicht das kleinste Zeichen, auch keine Spuren oder Dinge; höchstens von einem Tier: das Zehenzeichen, das die Richtung weist. Im Aufwachen Dürers Flügelzeichnung. Und im noch leichten Himmel das erste Gewitterdonnern. Als regte sich etwas in mir, war es, kein Schreckensbild: in der Lunge ein junger Körper. Atem, der sich erschaffen hatte zu einem Atem-Körper. Im Aufwachen aber diese, fiel mir ein: absolute Losigkeit. Als wäre ich gar nichts mehr; weggespült, und von der Welle aufgelöst. Mein Schauen, als schaute etwas ohne Mitte; blühte ohne Blüte; hätte nur noch Blätter um sich, die Mitte aber wäre unsichtbar geworden. („Was geschieht dir nur?“, wie eine Musik ging das durch den Raum und war schon Antwort: „Es geschieht dir ...“) Und als ich las ... dieser Flügel ... diese Ordnung ... (der Federschmuck glich Fingerspitzen) ... die nach der Idee greift ... und die Idee - trägt - weiß den Flügel beim Namen.

 

28

Dass man sich nie sicher sein kann -  allein aus diesem „man“ schon der Verdacht, das unbestimmte Selbst. An den Tagen Fährten: Du gehst ihnen nach: schmale Pfade, die großen Zeichen fehlen, aber ein Baum vielleicht, der etwas flüstert, oder dort, in der Ferne, ein Tal. Sind das noch Worte, ist das noch Werden? Oder gingst du gar nicht und warst viel eher das Tal, sahst zu dir herauf, wie du kamst auf dem schmalen Pfad und nicht wusstest, wer du warst? All dieses, was in den Tagen Rhythmus hat, das Schicksal der Berge, das dich übertönt und an dem du dich müde gehst: Wird das überhaupt gewesen sein? Es scheinen selten meine Linien, an denen ich schreibe. Ins Beliebige oft fällt der Schritt, und was sich erhebt, ist morgen verschwunden. Selten, dass dich eine Dauer streift und dass du bleiben kannst und ein Gefühl dich umfängt, dass es dieses, was du denkst, auch wirklich gibt. Dass es zum Ereignis wird, dass sich der Schritt senkt und dass er wahren Boden trifft und dass sich eine Saat von deinem Leben wirft; dass du einsiehst, dass dir das Leben folgt. Stattdessen sind Kreisel und Zweige, etwas, das zögert und nicht weiter weiß. Gestern, an einem Buch, war etwas Ähnliches: All diese Trockenheit, die du spürtest: die Buchseiten ein Abhang an einem heißen Sommertag, Erdklumpen, die vor Hitze brachen, ja, förmlich knackten und am Hang herabrieselten. So Seite für Seite, Winkel, Steigung, absurdes Höhenwerk, geprägt von unbegreiflichem Fehl, bis, plötzlich, woher? all dieses blühte, oder anders: sich von der Stelle hob, und strömend, rauschend, farbig entgegenkam: Dasein, voller Ereignis. Ein zwei Seiten hielt es vor, unversehens, Worte, um zu blühen, sich der Blüte hinzugeben, zu verschmelzen: Übergang war es, Eins-Sein: Ränder zur vollkommenen Mitte. Aber war sie bemerkt? Mir schien es fast, der Autor würde sie im Weiteren bereuen. Denn durch das Licht war alles in den Schatten gerückt. Das gewesene Ereignis bedrohte die Fortsetzung des Buches. Aber was bist du für ein Buch, wollte ich denken, wenn dir das, was da so leuchtet, als so fremder Gast erscheint? Weil aber auch mir dieser Gast inzwischen so fremd geworden ist, nicht mehr wohnend in meine Worte kommt, sondern sie eher verstellt, und ich immer fürchten muss, dass er sie zur Gänze wegrücken wird, war ich dann erst lesend geworden, und nahm das Buch viel näher zur Hand als zuvor. Zum Schlaf: All diese Dinge, die sich nicht begründen. Als hätten die Schlafsterne den regsamsten Verkehr, aber du selbst kommst gar nicht vor. Als würde der größte Handel getrieben bis an ferne Länder hin. Aber du selbst spielst keine Rolle. Trotzdem klebt das an dir, zieht dich mit und verzerrt deinen Blick. Es macht dich atemlos, es lässt dich nicht schlafen. Als solltest du alles unterschreiben, fällt es auf dich zu. Aber du hast gar keinen Namen. Wie nennt sich das? Kreiselnde Welt? Obwohl verloren, gibt es uns trotzdem? Mir ist oft, ich wäre wundgerieben. Selbst war ich nicht da, aber mein Körper oder eine Fläche hielt sich hin, und Körper oder Fläche zeigen sich zerkratzt. Ein Gewebe sah ich vor mir unter falschen Farben und mit Stimmen versetzt, das allmählich ausglühte, um da nichts zu lassen als einen schwarzen Grund.

 

29

Wäre das, was da aufsteigt, fällt, aber in den Nächten noch schimmert, „Blütenstaub“ (nach Novalis) zu nennen? Dem zerrütteten Selbst, wie ich es die Tage erfuhr, geht doch dieser Staub nach, in den Träumen und den so abwesenden Stunden: Wirbel, von denen wir nicht wissen, was sie vermitteln, aber sie übergehen/durchströmen das Müdesein mit solcher Kraft, poetischer, tiefsinniger, als man dies je im Wachen erfährt, in den Tagen erhaltener und gesünder. Mich wundert, wenn ich mich zertrinke und Sprachen im Mund führe, die mir so wenig angehören, die durch meine Räume hindurchschlagen, Fenster zerbrechen, die Türen eintreten, dass es eben diese Sprachen sind, die eine viele größere Nähe schaffen, viel eher zu spüren, als dieselbe mit aller Vorsicht und Stille gelingt. Unversehens geht dieses Blühen und Welken durch den Raum, das mich besonders am Morgen so erschüttert: Ein Wort, ein Satz allein, wirft schon das Blühen auf; viel mehr Weh und Rührung, viel mehr Kreis, viel mehr Wendung, viel mehr Augenlicht. Was ich sah, war fast eine Blendung zu nennen: Als stünde da ein Licht, in aller Direktheit, von solch innerer Kraft, dass das Auge daran schmilzt; es schmilzt und wird nun endlich seine Farben; seine Farben, die in die Dinge ziehen; so, was ich denke, leuchtet; seine Farben, die in die Gegenstände ziehen; so, was ich sehe, leuchtet. Wir selbst: ein Wirbel: unermesslicher Ursprung: sinkend, steigend, Erinnerung, und der Erinnerung Übergang: Was sah ich noch mal die Wege vor mir, Straßen und Pfade, sah den Regen wieder und sah ... und sah dies alles wie zum ersten Mal, weil es sich so, aus sich selbst? gewann! ... Kaum die Wege gefahren, schon Abschied, dachte ich vor mich hin. Wie wäre dies alles zu sein gewesen, hätte man es nur erfasst. Wann wird etwas habhaft? Anscheinend erst in der Ferne, und wenn die Türschwelle, die wir täglich überschritten, so zerfallen liegt: das unermessliche Licht.